[Spoiler für alles was ich bisher geschrieben habe]
Das muss schon ein paar Monate her gewesen sein, als einer meiner Testleser in einem Gespräch zu den ersten ~50 Seiten der dritten Fassung von Das Osiris Genom meinte (ich hab den genauen Wortlaut nicht mehr genau im Kopf) „Ich find’s voll gut, dass du starke Frauenfiguren schreibst“, bezogen auf die ersten paar Kapitel. Ich hab da eigentlich nur „Danke“ gesagt, mir aber nichts weiter dabei gedacht. Erst später bin ich darüber gedanklich gestolpert. Denn beim Schreiben denke ich praktisch nie daran „Au man, du musst jetzt ‘ne starke Frauenfigur schreiben“. Nö, ich schreib jetzt seit gut zwanzig Jahren Geschichten, wenn ich eine Figur schreibe, dann ist mir wichtig, dass sie glaubhaft rüberkommt und sich glaubhaft verhält, natürlich gemessen an der Umgebung und den Gesetzmäßigkeiten in der sie sich bewegt. Mal geht das gut, aber oft genug gehe ich damit auch baden, das sehe ich an den dutzenden zerknäulten Entwürfen im Papierkorb.
Liz, Amber, Andrea, Mara, Akira und die anderen sind für mich liebgewonnene Figuren mit einem eigenen Charakter, sie sind eigentlich nicht mal so „stark“, weil jede Figur ganz realistisch ne Macke hat. Ein Schicksalsschlag, wie bei Liz, die keine Kinder bekommen kann und als knallharte Businessfrau nie eine richtige Familie hatte und ihren Kummer darüber im Alkohol ertränkt. Oder ein Kindheitstraumata wie bei Akira, deren Eltern ihre große Schwester Olivia (4. Fassung) immer ins Rampenlicht gerückt, und Akiras Rufe nach Aufmerksamkeit und Fürsorge einfach nie beachtet haben. Maras Krankheit (Autismus), die in ihrem Haustier, dem Waran Karl, ihren besten Freund sieht und mit Menschen einfach nicht so gut klarkommt. Andreas Verlust ihres geliebten Vaters und ihre moralischen Werte die in einer feindlichen Umgebung immer wieder für Zoff sorgen. Amber, die gerissen und opportunistisch ist, anderer Frauen/Mädchen Freunde ausspannt und um ihren Finger wickelt – sie verliert ihre ganze Familie.
Das beschränkt sich nicht nur auf die weiblichen Figuren sondern so schreib ich alle meine Charaktere. Ich meine, geh doch mal im echten Leben herum und frag die Leute direkt, jeder hat irgendwas, was ihn bedrückt und zerfrisst. Schicksalsschläge, Verlust, Trauer, Sucht, Krankheit und so weiter. Und das zehrt an einem. Ich habe auch mein Bündel zu tragen und muss mich durchs Leben kämpfen. Strahlende Helden die einfach nur gut sind finde ich langweilig. Kaz ist doch das allerbeste Beispiel.
Ich hab in der dritten Fassung ein Kapitel, das ich im Nachhinein gestrichen habe. Ich mache jetzt sowas eigentlich nicht, weil ich das doof finde, aber ich gebe euch mal ne dicke fette Trigger Warnung, dass es jetzt echt grafisch und heftig wird.
Trigger Warnung Anfang
Kaz und Anna sitzen im Park auf einer Parkbank und genießen den sommerlichen Tag, aus alter Gewohnheit steckt Kaz‘ FN Five-Seven im Hosenbund. Da sehen sie einen jungen Araber mit einem künstlichen Arm, der mit seinem kleinen Sohn Ball spielt. Plötzlich rücken Clowns an, die augmentierte Menschen verabscheuen und einen Streit anzetteln. Einer der Clowns schubst den Jungen unsanft und als sich sein Vater wehren will, wird er plötzlich von einem Clown mit Baseball-Schläger niedergeschlagen. Die anderen Clowns kommen angelaufen und schlagen ebenfalls auf den verletzten Araber ein, dessen Sohn angefangen hat zu weinen und um Hilfe zu rufen. Aber das ist die Clownzone, keiner hier wird Widerstand leisten.
Kaz ringt mit sich, auf der einen Seite ist er bewaffnet und könnte einschreiten, auf der anderen Seite könnte er ein zweites Montana verursachen, einen Zwischenfall in dessen Spätfolge sein Neffe Ryan ums Leben gekommen ist. Möglich, dass seine Familie wieder Ziel der Clowns wird.
Als der Junge auch einen Schlag abbekommt springt Kaz auf und eröffnet das Feuer auf die Clowns, die nacheinander in die Knie gehen, ein Clown versucht zu fliehen und Kaz schießt ihm in den Rücken.
Kaz hat die Fassung verloren, er kann den Jungen retten, aber für den Vater kommt jede Hilfe zu spät. Eine gerettete Seele, etwa zehn Tote. Zehn Morde mit einer illegalen Waffe.
Und um alles schlimmer zu machen, handelt es sich bei dem Clown, dem er in den Rücken geschossen hat, um ein Mädchen in Ambers Alter, das heulend zu verbluten droht. Kaz ist erschüttert, gibt Anna den Jungen und nimmt sie auf den Arm, rettet einen Menschen aus dem gegnerischen Lager vor dem sicheren Tod.
Auf Haus Solomon kümmern sich Sanitäter um das Mädchen, sie konnten entwischen.
Kaz hat in dem Ungleichen Kampf den Vater und den Onkel des Mädchens getötet, ihre letzten noch lebenden Verwandten. Aus Schuld entschließt er sich, sich um das Mädchen zu kümmern und überlegt fieberhaft wie er die Sache wieder gutmachen könnte. Den Jungen adoptiert er sowieso.
Die Konsequenz seines Handels im Verlauf der Story ist allerdings, dass die Clowns an Akiras Geburtstag blutige Rache nehmen und Kaz Familie abschlachten.
Auf jede Aktion folgt eine Reaktion. Kaz hätte wissen müssen, was ihm blühen könnte. Aber sein moralischer Kompass hat ihm geboten den Jungen zu retten, indem er die Clowns kaltblütig in einem unfairen Kampf erschießt. Er ist kein sonderlich guter Charakter, immerhin tötet er Menschen am laufenden Band, zwar oft in dem Zweck ein Kind zu retten, aber das macht ihn nicht weniger zu einem Mörder.
Trigger Warnung Ende
Das Schreiben. Ich mach das oft ohne einen bestimmten Hintergedanken zu haben. Ich erschaffe mir eine Welt, meine Sandbox, denke mir ein paar Figuren aus und schicke sie los, die Welt zu erkunden und baue Situationen und Ereignisse zu denen die Figuren reagieren müssen. Nehmen wir uns doch Akira (4. Fassung) heraus.
Akira, 19 Jahre jung. Ist durchschnittlich, sieht völlig durchschnittlich aus – gerade so als ein bisschen hübsch zu bezeichnen, mit langen schwarzen Haaren und … ich zitiere Ted „Der Spruch ‚flach wie ein Brett‘ ist für dich erfunden worden“. Ich weiß, Ted ist ein sexistisches Arschloch, aber manchmal ist es herrlich erfrischend so eine Figur zu schreiben und er ist ein tolles „Hindernis“ für Akira.
Sie hat eine große Schwester namens Olivia, die etwa vier Jahre älter ist. Olivia war schon von Kindesbeinen durch ihre schwere psychische Krankheit und schwierigen Charakter ein Pflegefall. Akira stand oft nur daneben und hat sich auch die warme mütterliche Zuneigung gewünscht, die Olivia von ihren Eltern bekommen hat. Akira wurde oft einfach nur ignoriert und in ihrem Onkel Kaz hat sie ihren einzigen Freund gefunden. Sie weiß nicht wie man Freundschaften knüpft und kommt mit Menschen nicht so gut klar, traut ihnen einfach nicht mehr. Denn warum sollte sie ihren Eltern trauen, die nie etwas Schönes für sie gemacht haben. Sie klammert sich an Kaz … und an Liz. Akiras leibliche Mutter Helena ist reichlich überfordert mit ihren Töchtern, so sehr, dass Akiras Tante Liz (In der 4. Fassung ist sie eine Solomon) sich um Akira kümmert und ihr so etwas wie mütterliche Liebe gibt. Das ist besonders wichtig, weil sie ihren Onkel Kaz noch nie leibhaftig getroffen hat, der kurz nach ihrer Geburt in die Staaten ausgewandert ist. Aber Liz ist eine gestresste Geschäftsfrau und schon damals schwer in Horizon eingebunden, irgendwann lässt sie Akira einfach im Stich und kümmert sich nicht mehr um sie, weil ihr die Arbeit wichtiger geworden ist, als ihre Familie. Eine Tatsache, die Liz bitter bereut und versucht wieder gutzumachen, als sie die beiden Schwestern über ein Jahrzehnt später bei sich aufnimmt.
Akira ist wieder allein, sucht Zuflucht bei ihrer Oma Lilly, die aber doch mehr Zeit für ihre giftigen Tiere und Pflanzen hat, als für ihre nächsten Verwandten.
Akira findet keinen Anschluss und keine Freunde, landet auf einer Schule nach der anderen, wird überall gemobbt und fühlt sich in ihrer eigenen Haut nicht wohl. In der fühlt sie sich ohnehin nicht sonderlich wohl. Sie scheut Aufmerksamkeit, wird aber so zuverlässig am liebsten von ihren eigenen Eltern übersehen, dass sie doch auch nur ein bisschen gesehen werden will. Sie verheimlicht ihren Eltern das sie LGBT ist (Bi) und kämpft damit, es keinem richtig sagen zu können.
Als sie das Streamen von Computerspielen auf Twitch für sich entdeckt, denn darin ist sie wirklich gut, und wildfremde Menschen sie dafür loben, dass sie wenigstens in einer Sache gut ist, gewinnt sie den Mut zu einem vielleicht kindlichen aber wirkungsvollen Schritt. Sie bekennt Farbe (wörtlich) und fängt an ihre Haarmähne in Regenbogenfarben zu tragen. Ein Schock für ihre konservative Familie und besonders für ihre Eltern. Sie beginnt, Selbstbewusstsein zu trainieren und anders im Leben aufzutreten. Mit anfangs eher mäßigem Erfolg, sie wird immer noch in der Schule gemobbt und ihre Eltern sind eher verärgert über sie, aber sie ist im Reinen mit sich und fühlt sich zum ersten Mal seit langem gut.
Ich könnte Akira noch ewig weiterbeschreiben, ihren Lebens- und Leidensweg. Klar provoziert sie später mit ihren bunten Haaren, aber nach einem Leben der Vernachlässigung und Ignoriert Werdens, genießt sie es ein bisschen sehr, einfach Aufmerksamkeit zu bekommen.
Und nein, auch Akira hat ihre Schattenseiten und ist keine strahlend gute Heldin, und diese Seiten verbirgt sie vor anderen sehr gut und gründlich. Ohne diesen innerlichen Konflikt wäre die Handlung der 4. Fassung auch längst nicht so spannend, finde ich. Und sie trägt ein Geheimnis mit sehr weitreichenden Konsequenzen mit sich herum, von dem sie selbst nichts ahnt.
Und so schreibe ich alle meine Figuren, dauert zwar, aber es ist mir wichtig geworden, auch im Hinblick auf die zweite Fassung (Das Osiris Projekt). Keiner ist wirklich abgrundtief böse, niemand ist wirklich gut. Mir sind Grauzonen wichtig, denn auch die echte Welt ist nicht schwarz und weiß. Die zweite Fassung ist eine krude Mischung aus Kindlicher Naivität und echt düsterem Zeug, mal sehen ob das jemand drucken will ^^ Die späteren Fassungen sind deutlich düsterer geworden und das mag ich oft einfach mehr.
Und zurück zum Anfang. Ich schreibe bewusst keine starken Frauenfiguren, mir ist es einfach nur wichtig, dass sie sich echt anfühlen. Liz als Vize-Chefin des größten Konzerns der Welt ist definitiv stark, allein durch die Tatsache, dass sie in einem halben Dutzend Kampfsportarten trainiert und topfit ist. Aber die Macht und das viele Geld haben sie schon ziemlich zerfressen und sie bereut es bitter, dass sie Akira und auch Olivia im Stich gelassen hat. Sie fragt sich oft, ob sie mit Ende vierzig zwei armen Mädchen eine gute Ersatz-Mutter sein kann und es kommt zu jeder Menge Zoff, weil sich Akira, Olivia und später Amber nicht die Bohne ausstehen können …
Ich könnte den ganzen Tag so weitermachen und spätestens für die geplante Wiki mache ich das auch, aber das dauert alles noch.
So, ich muss Bücher weiter schreiben und absurde Mengen an schwarzem Tee vernichten. Macht’s gut.
[EDIT – Sonntag 7.11.21]
Es gibt definitiv einen Haufen Youtuber, die irgendwie im Bereich Bücher und Film direkt und indirekt zu tun haben und einer davon ist der gute alte Critical Drinker, in Echt der britische (schottische?) Bestseller Thriller Autor Will Jordan, dessen Bücher auf meiner ToDo Liste stehen, sobald ich mit den neun Bänden von „The Expanse“ (ich bin noch beim ersten) durch bin.
Ich als kleiner Möchtegern Autor seit 20 Jahren lerne eben auch wie es geht, indem ich mir Bücher von Leuten durchlese, die es eben können. Was ich zum Beispiel noch nicht herausgefunden habe ist, wie man einen mitreissenden Thriller schreibt. Jedenfalls hat der gute Critical Drinker (mit dem ich unbedingt mal sprechen möchte) im Laufe der Jahre ein zwei Video Essays veröffentlicht, zum Thema gute Charaktere. Das ist eins
Zurück zum Thema starke (gute) Charaktere schreiben. Das ist verdammt harte Arbeit die nicht einfach so aus dem Nichts kommt!
Ich bin jetzt bei der vierten Fassung von Osiris Genom und mindestens der sechsten Fassung von die Legende der schwarzen Geister, ich überarbeitete meine Figuren seit vielen Jahren und hab immer noch das Gefühl, dass sie fehlerhaft sind und eben nicht so gut geschrieben, wie ich erhofft habe. Das ist ja auch Sinn und Zweck dieses Blogs, dass ich meine Sachen veröffentliche und Feedback bekomme, wie ich es besser machen könnte. Daher auch die bewusste Entscheidung die unperfekte zweite Fassung zu veröffentlichen, und nicht die womöglich bessere erste Hälfte der dritten Fassung.
Ich kann euch kein ToDo geben wie man gute Charaktere schreibt, aber was mich persönlich aus einer Geschichte rausreißt sind Mary Sues und Unglaubwürdigkeit. Rey (Skywalker *kotz) ist das perfekte Beispiel für eine Mary Sue. Sie kann alles sofort ohne hartes Training, wird von allen geliebt und muss nie schwere Rückschläge einstecken … Gott wie ich diese Figur verabscheue.
Wenn ich schreibe merke ich vor allem wie sehr ich von Computerspielen geprägt bin. Das macht sich zum Beispiel bemerkbar, dass ich zuerst die Welt und die Figuren baue und dann in verschiedenen Szenarios aufeinander loslasse und teilweise wochenlang über einer Schlüsselszene brüte um einen Moment zu schreiben, wo meine Figuren mit ihren ganz speziellen Charakter und Eigenschaften, so glaubwürdig wie möglich handelt.
Mein Lieblings Beispiel ist immer wieder Kaz, der ziemlich oft nicht über die Konsequenzen seines Tuns nachdenkt und ein Herz für den Underdog hat, also meistens Kinder. So stürzt er sich des öfteren in schlecht überlegte Situationen. Bei Kaz ist durch seinen (seit der 3. Fassung) Militärbackground klar, dass er ganz gut kämpfen kann und er mag Kinder, also ist es für ihn eine glaubwürdige Aktion, dass er einem Typen(Clown), der ein Kind schubst, eine reinhaut. Danach hilft er dem Kind auf die Beine und spendiert ihm/ihr ein Eis.
Das sieht man gut in dem Spin Off „Ghost Team Six“ LINK, wo Kaz wörtlich seinem Bruder eine verpasst, weil dieser Akira angeschrien und geohrfeigt hat. Und als Akira und Amber von ihren Eltern vor die Tür gesetzt werden, nehmen Kaz und seine Bande die beiden in ihre verrückte WG auf. Hach ich muss die Geschichte mal weiterschreiben …
Das macht aus Kaz aber auch einen Mann, der die Gewalt regelrecht sucht und wenig Sinn in Diplomatie findet. Das zieht natürlich immer auch schwere Konsequenzen mit sich, deren Kaz sich zwar irgendwie bewusst ist, aber gerne ignoriert und die selben Fehler immer und immer wieder macht.
Auf der anderen Seite, baue ich gerade in den späteren Fassungen immer wieder kleine Passagen ein, die klar verlauten, dass er vielleicht noch eine andere Persönlichkeit hat. Und nein, er ist nicht Batman, der für ein Ideal kämpft, er hat eher Ähnlichkeit mit dem Punisher.
Ähm, was wollte ich eigentlich sagen. Bah, ich merk schon ich bin echt nicht die richtige Person um zu erklären was eine gut geschriebene Figur ausmacht, aber wie sagt man so schön? „Er war stehts bemüht“ Und das war’s fürs erste auch.
Wobei, lass uns doch noch ein schönes Video zu Mary Sues gucken, denn ich bin mir sicher der ein oder andere ist sauer, dass ich Rey eine Mary Sue genannt habe.
Jetzt war’s das (fürs Erste) aber wirklich. Machts gut.