Ich weiß nicht warum ich so viele (schlimme) Liebesgeschichten schreibe, aber hier ist noch eine. Diesmal fast zehn Seiten lang und mit reichlich Dialog.
Zur Story: Ralf wacht eines Morgens auf und entschließt sich einen entscheidenen Schritt in seinem Leben zu gehen und auf dem Weg dahin stolpert er über Rosa und die beiden kommen ins Gespräch.
Rosa ist praktisch ich in weiblich, bzw. mir sehr ähnlich – ist mir beim Schreiben aufgefallen. Zu Rosa und Ralf wird es definitiv weitere Kurzgeschichten geben, sie sind eben ein ebenso schönes Paar wie Liz und Kaz, finde ich.
Der Traum
Der Traum war seltsam gewesen. Das war sein erster Gedanke, als er die Augen aufschlug. Einen Moment lang betrachtete er die weiße Decke mit Raufasertapete und genoss den Augenblick. Vogelgezwitscher ertönte von draußen. Ob das der richtige Tag war, den auf den er so lange schon gewartet hatte?
Er schlug die Wolldecke zur Seite und stand auf. In der Küche startete er die Kaffeemaschine und stellte seine Thermoskanne und einen Thermosbecher bereit. Im Bad rasierte er sich gründlich, nahm eine ausgiebige warme Dusche. Nach dem abtrocknen putzte er sich die Zähne.
Wieder in der Küche nahm er einen Rest Margarine und eine Papiertüte mit Wurst heraus. Zwei Scheiben Graubrot hatte er noch, mehr brauchte es nicht. Er brauchte die Margarine auf und warf die leere Packung in den Hausmüll. Den einsamen Apfel schnitt er klein und aß ihn als Snack nach den beiden Broten. Er spülte mit heißem Kaffee nach. Nachdenklich trat er an Fenster und sah die acht Stockwerke runter auf die Straße. Auf dem Spielplatz gegenüber spielten ein paar Kinder. Es war Hochsommer und schon schön warm. Er blickte in seinen Becher, dann wieder nach draußen. Er seufzte kurz, dann trank er den Kaffee aus.
Er spülte in Ruhe ab, dann begann sein Tag. Aus der Besenkammer holte er seinen riesigen Wanderrucksack. Ganz nach unten rollte er seine Winterjacke und die dünne Regenjacke. Dazu ein dicker Pullover, seine kurze Hose, eine warme Unterhose, zwei von drei T-Shirts, Socken und Unterwäsche. Bei der Gelegenheit zog er sich an. Socken, lange Arbeitshose mit Hosenträgern. Sorgfältig verstaute er sein Notizbuch in einer der Beintaschen. T-Shirt nicht zu vergessen, dann war der Schrank leer. Die Wolldecke faltete er zusammen und verstaute sie. Die Badartikel schlang er in sein Duschtuch und wickelte alles zusammen. In der Küche holte er einen offenen Pappkarton hervor und legte die restlichen Lebensmittel hinein, die er noch besaß. Der Karton war nur halbvoll, als er fertig war.
Dann verstaute er sein Campinggeschirr. Den Kaffee füllte er in die Thermoskanne und die Wasserflasche füllte er mit Leitungswasser auf. Dann schaltete er die Kaffeemaschine und den Kühlschrank aus, die Herdplatte stöpselte er aus.
Zuletzt eine Aktenmappe mit seinen Zeugnissen und wichtigen Dokumenten und seinen flachen Laptop. Er band sich seine Armbanduhr um, steckte sein Smartphone in die Hosentasche und überprüfte seine Barschaft. Am Automaten am Bahnhof würde er etwas abholen, entschied er.
Er schulterte seinen Rucksack und machte die Sicherung für die Wohnung aus. Dann überlegte er, ob er etwas vergessen haben könnte. Nein, die Wohnung war leer, bis auf die sehr wenigen Einrichtungsgegenstände.
Er griff nach seinem Schlüssel und verharrte. Haustür und Briefkasten, ansonsten hatte er nichts. Er atmete tief ein und zog die Hand zurück. Es gab jetzt kein Zurück mehr.
Der Schlüssel hing an seinem Platz, als er die Tür hinter sich zuzog. Den Karton mit den Lebensmitteln stellte er neben die Briefkästen im Erdgeschoss. Draußen sah er nicht zurück und ging gemächlich in Richtung Bahnhof. Die Vögel zwitscherten und vereinzelt kamen ihm Passanten entgegen.
Im Bahnhof hob ein bisschen Geld ab, nicht viel, vielleicht zweihundert Euro. Er studierte die große Tafel mit den abfahrenden Zügen einen Moment, denn wanderte sein Blick zu der Eisdiele im Bahnhof. Eine kurze Schlange hatte sich bereits gebildet. Er warf einen Blick auf die große Uhr, dann auf die Tafel und dann wieder auf die Eisdiele. Ohne Hast ging er vor und musterte die Sorten. Ein paar Sorten klangen hervorragen. Sein Blick blieb am Preisschild hängen und seine Miene verfinsterte sich. Gemessen an seiner Barschaft, klang ein Eiskauf geradezu töricht. Etwas traurig ging er wieder weg.
Der Blick auf die Tafel war wenig aufschlussreich und er verließ den Bahnhof wieder. Im nahe gelegenen Park setzte er sich auf eine freie Parkbank.
„Entschuldigung?“
Er hatte gerade den Rucksack abgesetzt um seinen Laptop hervorzuholen als ihn eine ausgesprochen schöne Stimme ansprach. Überrascht sah er hoch. Eine junge Frau in seinem Alter stand vor ihm. Recht groß und mit einem schönen sonnengebräunten Teint. Sie trug eine interessante Hochsteckfrisur in einem pastellfarbenem Pink und hatte absolut kein Makeup aufgetragen. Zu reichlich Sommersprossen hatten sich ein paar Pickel gesellt, die sie nicht zu stören schienen.
Sie trug schlammverkrustete Schuhe zu Arbeitshosen, die dreckig und abgenutzt waren, und einer dünnen Engelbert Strauss Jacke. Aus ihren Taschen lugten Arbeitshandschuhe. Sie war ausgesprochen schön und sah bis auf die Wahl der Haarfarbe so aus wie ein Model für Arbeitskleidung. Am überraschendsten fand er allerdings die beiden Waffeln Eis in ihrer Hand.
„Mögen sie eventuell Zitrone und Mango?“
Verdutzt musterte er die Frau, dann sah er sich unauffällig um. Die Frau wirkte sehr verlegen.
„Ähm.“
Er dachte nach.
„Ja.“
„Super.“
Die Frau wirkte sichtlich erleichtert und streckte ihm eine Hand mit der einen Eistüte hin.
„Ähm, darf ich mich setzen?“
Sie deutete unsicher auf die Bank, auf der er saß. Sie wirkte nett und natürlich.
„Sicher.“
Sie setzte sich neben ihn, allerdings mit gehörigem Abstand. Er musterte sie neugierig. Sie wollte etwas von ihm, zumindest erschien ihm das logisch.
„Wie heißen Sie?“
„Ralf, sag du zu mir, so alt bin ich nun auch nicht.“
Sie wirkte auf eine seltsame Art schwer verlegen, aber auch erleichtert. Das Eis war hervorragend, stellte er fest.
„Und wie heißt du?“
Sie wirkte noch verlegener.
„Ähm, ich … ähm.“
Sie druckste herum.
„Rosa.“
Er schnaubte und sie wurde schrecklich rot. Das erklärte zumindest die Wahl der eigentümlichen Haarfarbe.
„Passt hervorragend zu den Haaren.“
Er zwinkerte ihr zu und sie wurde noch röter. Ihm kam der Gedanke, dass sie ganz schrecklich schlecht darin war, einen Mann anzusprechen, den sie gut fand. Zumindest hoffte er, dass ein so hübsches Ding ihn gut fand.
Etwas schweigsam aßen sie ihr Eis. Er spürte dass es ihr auf den Nägeln zu brennen schien, ihn in ein Gespräch zu verwickeln und er ließ ihr höfflich die Zeit. Als nichts von ihr kam und sie sich von Minute zu Minute unwohler zu fühlen schien, fing er an.
„Bist du Model?“
Sie guckte verdutzt, dann schüttelte sie den Kopf.
„Dann also wahrscheinlich Gärtnerin?“
Sie nickte langsam.
„Stimmt. Freiberuflich.“
„Hm, und warum machst du nicht Landschaftsarchitektur, du hast bestimmt einiges auf dem Kasten.“
Sie wurde wieder rot und lächelte verlegen.
„Ich hab mein Abitur vergeigt.“
„Das kann ich mir irgendwie schlecht vorstellen.“
„Doch, ich wollte es meinem Papa heimzahlen, also habe ich es mit Absicht geschmissen. Dass ich damit meine Zukunftschancen wegschmeiße, wollte ich damals nicht einsehen.“
„Aha, dann ist dein Vater wohl ein ziemlicher Arsch.“
Sie warf ihm einen kurzen schwer zu deutenden Blick zu, dann nickte sie energisch.
„Ich bin Einzelkind, Papa ist Workaholic und Mama ist ganz früh gestorben.“
„Oh, mein Beileid.“
„Ist schon ok, ich hab kaum mehr Erinnerungen an sie.“
„Und warum wolltest du es deinem Vater heimzahlen?“
Sie biss sich unmerklich auf die Lippen und zögerte.
„Ähm, er hat sich nie um mich gekümmert. Seine Firma hat ihm alles bedeutet, ich nicht. Er war nie zuhause und hat die Erziehung eigentlich unserer Haushälterin überlassen. Er war nicht mal an meinen Geburtstagen oder zu Weihnachten da.“
Er war betroffen. So ein schönes Mädchen mit einem furchtbaren Vater. An seine Eltern hatte er keine Erinnerung mehr, dafür war der Autounfall zu früh gewesen. Und ihn hatte nie jemand adoptieren wollen. Bitterkeit über sein eigenes Leben stieg in ihm hoch, als er ihr lauschte.
„Und jetzt will er, dass ich jemanden heirate und Kinder bekomme, um die Erbfolge zu regeln. Er hat nicht mal gefragt, wie es mir geht. Ich glaube am liebsten würde er mich einfach so verheiraten, ganz egal was meine Meinung dazu ist.“
„Und was ist deine Meinung?“
Sie hielt inne und starrte einen Moment nachdenklich ins Leere.
„Mh, ich will schon Kinder haben und alles, aber eben selbstbestimmt in meinem Tempo. Aber ich bin auch schon fast dreißig und so viel Zeit bleibt mir nicht mehr. Ich will meinem Vater nicht Recht geben wollen, aber ich will einen Mann in meinem Leben. Nur bin so schlecht darin, einen zu finden.“
Er lachte kurz auf.
„Moment mal, selbst ohne jegliches Makeup siehst du hinreißend aus, die Kerle werden dir doch die Bude einrennen!“
Sie wirkte sehr verlegen, aber auch etwas aufgebracht.
„Genau deshalb trage ich auch seit Jahren kein Makeup mehr auf. Ich werde jeden Tag angesprochen und ständig auf Dates eingeladen. Aber … ach verdammt … das ist jetzt ganz albern … und bestimmt kindisch … aber ich möchte meinen Mann finden, ich möchte nicht gefunden werden. Und ich will auch nicht gejagt und vergöttert werden. Ich bin ein niemand, ich hab nicht studiert und kann nichts besonders gut, ich bin ein verdammter Niemand. Aber jeder versucht mich auf ein Podest zu stellen, auf das ich nicht gehöre.“
Sie schwieg einen Moment und wirkte niedergeschlagen.
„Deshalb ist das auch so sinnlos. Ich nerv dich bestimmt mit meiner doofen Lebensgeschichten. Niemand will das Gejammer von einem super hübschen Mädchen hören, das alle Welt vergöttert. Und du hast bestimmt eine bessere Hälfte, also mach ich mich doch nur zum Affen.“
Eine einzelne Träne rollte ihr über die Wange und sie wischte sie hastig weg.
Er musterte sie eingehend. Sie war eine schöne junge Frau, das musste man ihr lassen. Er seufzte und stand auf. Sie wirkte völlig erschrocken und sprang auf.
„Oh nein, du hast schon eine? Oder ich hab dich nur belästigt? Verdammt, das tut mir leid … ich … ich … bitte lass mich nicht hier sitzen.“
Ihre Augen füllten sich mit Tränen und sie schluchzte auf. Sie ließ sich auf die Bank fallen und vergrub das Gesicht in den Händen. Nachdenklich setzte er sich wieder hin. Er saß einen Moment einfach nur da, während sie weinte, dann zuckte er mit den Achseln, rutschte zu ihr hin und nahm sie in den Arm.
Sanft strich er ihr über den Rücken und ignorierte die Blicke der Passanten.
„Ich bin Single.“
„Das glaube ich dir nicht, du siehst übel gut aus.“
Er schmunzelte.
„Danke. Aber ich bin nur ich, ich bin ein Niemand so wie du.“
„Das … das stimmt nicht, du hast einen Blog mit hunderttausenden von Followern. Ich bin nichts, das stimmt.“
Ihm dämmerte, dass sie ihn zu kennen schien und er löste die Umarmung. Ernst musterte er sie, während sie sich die Tränen mit einem Zipfel ihres T-Shirts wegtupfte.
„Was?“
Sie wirkte unsicher.
„Bist du mir gefolgt?“
Fragte er leise und sie wurde blass.
„Ich … ähm.“
Wieder füllten sich ihre Augen mit Tränen.
„Ja“
Sie schniefte und sah kurz weg.
„Tut mir leid … aber.“
Sie zögerte und er hakte nach.
„Aber was?“
In seiner Stimme klang eine gewisse Schärfe und sie sah ihn ängstlich an.
„Ähm … ich, ähm … naja, ich hab dir ganz viele Nachrichten geschrieben, aber du hast nie geantwortet. Also wollte ich dich persönlich treffen.“
Er schnaubte verärgert.
„Ich bekomme jeden Tag tausende von Nachrichten, die kann ich nicht beantworten. Komisch dass viele das nicht kapieren. Und jetzt habe ich einen Stalker an der Backe.“
Sie wurde erst bleich, gleich danach verfärbten sich ihre Wangen rot.
„Ich … Ich bin kein Stalker. Ich wollte dich nur mal treffen.“
„Und das hast du jetzt ja auch. Entschuldige mich ich muss los.“
Sie warf einen Blick auf seinen großen Rucksack.
„Besuchst du deine Eltern?“
Fragte sie mit einem unsicheren Ton in der Stimme.
„Die sind schon lange tot, nein ich hab keine Verwandten mehr.“
Sie wirkte sichtlich betroffen.
„Wo geht’s dann hin?“
Er dachte einen Moment nach. Das wusste er selbst nicht so genau.
„Mh, spontan würde ich Prag sagen.“
„Urlaub?“
„Ja … Nein. Ich weiß nicht. Vielleicht ein paar Tage oder ein paar Wochen. Aber ich wollte mir auch mal wieder Russland ansehen. Und dann rüber nach China und Südostasien. Dann Indonesien und mit einem Schiff in die Staaten.“
Sie sah ihn traurig an.
„Seh ich dich wieder?“
Er grinste flüchtig.
„Ich habe mit dieser Stadt abgeschlossen, da ist höchstens noch Berlin, wenn ich auf der Durchreise bin.“
Sie wurde wieder blasser.
„Aber du darfst nicht gehen, ich habe dich doch erst gerade getroffen.“
„Und wenn schon, du wolltest doch nur einmal deinen Lieblingsblogger treffen und das hast du doch hiermit gemacht.“
Er sah sie an, ihr Blick hatte etwas Flehendes und Verzweifeltes.
„Hast du schon ein Ticket gekauft?“
„Nein, ich mach das meist spontan über die App.“
„Kann ich dich auf einen Kaffee einladen … also, ähm … bei mir?“
Er schmunzelte.
„Ist das ein Date?“
Sie errötete und zuckte mit den Achseln.
„Weiß nicht, ich will dich einfach besser kennenlernen. Ich parke im Parkhaus gleich da drüben. Dann ist es nicht weit. Vielleicht zwanzig Minuten.“
„Wenn der Kaffee gut ist, dann können wir das machen. Gibt es dazu was zu knabbern?“
„Ähm, ich habe gestern einen Apfelkuchen gebacken. Hälfte ist bestimmt noch da.“
„Mit Sahne?“
„Lässt sich einrichten.“
„Nun gut, du hast mich überzeugt.“
Sie lächelte erleichtert und sprang von der Bank auf. Er schulterte seinen Rucksack und folgte ihr.
Im Parkhaus angekommen stieß er einen anerkennenden Pfiff aus. Ein schwarzer Porsche Cayenne.
„Den hat mir mein Papa aufgedrückt, ich bin ein Ford Fan. Ich wollte ihn aber nicht verkaufen und mittlerweile mag ich ihn ganz gerne.“
Sie wirkte verlegen. Es schien ihr peinlich zu sein, dass sie ein sündhaft teures Auto fuhr.
„Gut dann pack ich meinen Rucksack mal in den Kofferraum.“
„Mhm.“
Sie stieg ein und er verstaute den Rucksack, dann setzte er sich zu ihr. Und los ging es.
Zwanzig Minuten später durch den typisch sinnlos komplizierten Verkehr in der Stadt fuhren sie durch ein Viertel aus hässlichen Neubau Würfeln, die man lieblos in die Landschaft geklatscht hatte. Sie parkten auf einem Parkplatz neben einem übel schlammverkrusteten Ford F-150 Pickup Truck. Sie hatte doch gesagt, sie war ein Ford Fan, dann war das bei ihrem reichen Papa bestimmt ihr Wagen. Als Gärtnerin war der definitiv praktisch. Er setzte seinen Rucksack auf.
„Deiner?“
Er deutete auf den Ford.
„Jepp. Viel praktischer als der blöde Porsche.“
„Finde ich auch. Aber viel praktischer ist kein Auto.“
Sie warf ihm einen skeptischen Blick zu.
„Sicher, dann transportiere ich doch gleich vier Zementsäcke in der Tram …“
spottete sie.
„Ja, das wird schwierig.“
Eigentor, er biss sich auf die Lippen.
Sie ging voran auf den hässlichen Würfel zu. Sein Blick wanderte über die Reihe der Briefkästen und er stutzte. Nur ein Namensschild war beschriftet.
„Ich wohne oben in der zwei, Fahrstuhl oder Treppe?“
„Treppe.“
„Alles klar.“
zwei Minuten später öffnete sie die Wohnungstür. Die Klingelschilder der anderen Wohnungen auf der Etage waren leer.
„Wo sind die anderen Mieter?“
Sie drehte sich verlegen zu ihm um.
„Papa hat mir diesen Klotz gekauft, frag mich nicht warum.“
Er stieß einen anerkennenden Pfiff aus und sie errötete leicht. Dann folgte er ihr in die Wohnung. Drei Zimmer stellte er beim Zählen der Türen fest.
„Stell den Rucksack irgendwo hin und fühl dich wie zuhause. Möchtest du einen normalen Kaffee?“
„Ja bitte, mit einem Drittel Milch und zwei Stück Zucker.“
„Alles klar, ist in Arbeit.“
Er stellte den Rucksack neben die Garderobe und sah sich um. Keine schicken modischen Schuhe, nur Arbeitsschuhe und ein paar leichte Halbschuhe. Die Wände des Flurs waren mit Whiteboards verkleidet, auf denen hunderte von Notizen standen und Bilder, Postkarten und Zeitungsartikel angeheftet waren. Neugierig sah er sich ein paar Sachen an. Dann öffnete er die erste Tür.
Er stutzte. Das war ein Lagerraum, überall Regale an den Wänden, die sich unter der Last von Vorräten bogen. An einer Wand stand ein Schreibtisch. Nicht mit einem, nicht mit zweien, gleich mit drei Monitoren. Und der Rechner unter dem Tisch war nicht viel kleiner als sein alter Kühlschrank. Er schüttelte nur den Kopf.
Dann stand er im Schlafzimmer. Zwei gigantisch große IKEA Schränke nahmen eine Seite fast vollständig ein. In die guckte er natürlich nicht. Unter dem Fenster stand ein bequem aussehender Lesesessel. Missbilligend musterte er die zusammengeknäulte Pelzdecke, unfassbar wie man sich in Menschen irren konnte. Das Bett war groß und ungemacht und voller Stofftiere. Dazu in ein weiteres Regal eingebaut. Er zählte nicht, aber es dürfte weit mehr als hundert Bücher sein. Er besaß nicht eins, auch wenn er gerne las.
Das Wohnzimmer war nicht viel besser. Nur Regale, fast überall. Vollgestopft mit Büchern und … er runzelte die Stirn … LEGO Sets. Alles voller Kinderspielzeug. Schrecklich, wie konnte man nur so viel Zeug haben?
Er ließ sich auf das edle Ledersofa fallen und lehnte sich entspannt zurück. Aus der Küche klapperte es beschäftigt und er musterte die Spielzeugsachen in den Regalen. Er überlegte wie groß der LKW sein müsste, um den Inhalt dieser Wohnung zu bewegen.
Da erschien Rosa mit einem großen Tablet in den Händen in der Tür. Sie hatte wohl auch Zeit gehabt schnell ihre Arbeitshose gegen eine schlabbrige Jogginghose auszutauschen. Er überlegte ob das so eine gute Wahl gewesen war und zuckte nur mit den Schultern. Etwa siebzig Prozent des Kuchens waren noch da und sie schnitt den Rest zu ziemlich großen Stücken und tat ihm eins mit einem ordentlichen Klecks Sahne auf.
Der Kaffee war ausgesprochen gut, er nickte anerkennend. Und der Kuchen war eine Wucht.
„Ist der Kuchen gut?“
„Sehr, sowas gutes habe ich lange nicht mehr gegessen.“
„Das freut mich.“
„Du bist eine ausgesprochen gute Bäckerin.“
Sie lächelte verlegen, wirkte aber bestärkt.
„Bevor ich Gärtnern gelernt habe, hab ich Koch gelernt, aber das fand ich zu stressig.“
„Wie kommt’s?“
„Unsere Haushälterin fand immer das eine junge Frau auch gut kochen sollte. Also hab ich das gelernt, noch so richtig nach einem alten Hausfrauenbuch und ich war echt gut. Wäre das nicht so stressig, hätte ich heute schon bestimmt ein eigenes Restaurant. Aber Glück gehabt, sonst wäre ich nie Gärtnerin geworden.“
Sie trank einen Schluck und wirkte nachdenklich.
„Ähm … bist du vegan oder vegetarisch oder so?“
„Nicht dass ich wüsste, auch wenn ich bewusst nicht so viel Fleisch esse.“
„Oh, super. Dann kann ich was für uns kochen.“
„Nein, so viel Mühe musst du dir doch nicht machen. Nach dem Kaffee buche ich mir was und dann hast du abends wieder Ruhe.“
Sie sah so aus, als würde sie gleich heulen.
„Nein bitte, ich flehe dich an.“
Eine Träne rollte ihr über die Wange. Sie war schrecklich emotional, das war sicher.
„Warum soll ich denn bleiben?“
„Ich … ähm … Naja, ähm … ich …“
Sie brach ab und er schmunzelte.
„Lass mich raten, du bist die Kriegerprinzessin und ich der arme hilflose Prinz, der gerettet werden muss.“
Sie wurde schrecklich rot, dann nickte sie zaghaft.
„Und wenn ich nicht gerettet werden will?“
Sie sah traurig zu Boden.
„Weiß nicht.“
„Wie kommst du überhaupt auf mich?“
„Ich bin über deinen Blog gestolpert, als der noch ganz klein war. Und ich habe es mir zur Tradition gemacht, jeden Morgen beim Frühstück zu lesen, was du am Vortag geschrieben hast. Und wenn nichts Neues war, habe ich mir alte Blogbeiträge angesehen. Und so hab ich dich durch die Beiträge hindurch kennengelernt und mich irgendwie in dich verliebt.“
„Dann bist du eine Stammleserin. Interessant.“
Er trank einen Schluck Kaffee.
„Aber du verstehst, dass ich irgendwann los muss. Ein Abenteuer wartet auf mich.“
„Kannst du nicht bitte ein bisschen bleiben, nur ein paar Tage? Ich hab eine kleine Gästewohnung mit einem frisch gemachten Bett und ganz vielen Snacks. Und ich koche jeden Tag für uns beide.“
Er musterte sie einen Moment, sie war schön wenn sie so verlegen wie gerade jetzt war.
„Aber ich kann dir doch gar nichts bieten. Du bist eine schöne selbstständige Frau voller Jugend, die nie verarmen wird. Ich hingegen bin ein Niemand, zwar hab ich einen erfolgreichen Blog, aber in dem Rucksack im Flur ist alles was ich habe. Ich bin nicht reich, ich bin nicht durchtrainiert, nicht einmal sonderlich gutaussehend finde ich. Ich bin nur irgend so ein Typ, denen du jeden Tag zu dutzenden begegnest. Jeder von denen hat bestimmt genau so viel zu sagen wie ich und hat Humor und einen guten Charakter. Nur ich habe einen Blog, mit dem ich der Welt zeige, wer ich bin. Aber ich bin nichts Besonderes. Du hingegen verdienst etwas Besonderes und das bin nicht ich!“
Sie sah ihn traurig an und schob sich eine Kuchengabel mit Kuchen in den Mund. Sie wirkte arg geknickt und niedergeschlagen.
„Aber die anderen kenn ich doch gar nicht. Und du bist du und du sitzt gerade auf meinem Sofa. Ich will gerne mit dir zusammen sein. Du musst nicht aussehen wie Captain Amerika. Mich stört auch nicht dass ich wahrscheinlich mehr Geld habe als du. Ich finde schon dass du etwas Besonderes bist, denn du hast der Welt gezeigt, dass du eine Stimme hast und das macht nicht jeder. Das mag ich.“
Er nickte zustimmend, dann musterte er sie eingehend.
„Ich nehme an, du willst, dass ich für immer bei dir einziehe und nicht nur für ein paar Tage. Dabei kenne ich dich nicht die Spur, außer dass du hartnäckig und schön bist. Und du müllst dich mit Zeug ein, hier ist ja nicht ein Stück freier Platz bei dir. Das ist echt furchtbar.“
Sie war wie vor den Kopf gestoßen und sah ihn mit großen Augen an, dann guckte sie wieder sehr traurig und stützte den Kopf auf die Hände.
„Ich kann nicht anders. Ich hab als Erwachsene nachgeholt, dass ich eigentlich keine Kindheit gehabt habe. Und ich interessier mich halt eher für Autos und LEGO und Videospiele, als für Mädchenkram und so. Ich hab noch mehr als das, immerhin hab ich ein Riesenhaus, was eigentlich nur leer steht.“
Er überlegte. Er kannte sie kein Stück, das konnte mächtig schiefgehen.
„Ok ich bleibe, aber nur unter einer Bedingung.“
Ihre Augen leuchteten auf und sie strahlte.
„Welche.“
„Wir machen es ganz altmodisch. Egal was passiert. Krankheit, Verlust, schlechte Zeiten und Katastrophen. Wir bleiben zusammen. Ich kenn deine Macken nicht und du kennst meine nicht, es kann schiefgehen, wird es womöglich auch, aber wir suchen gemeinsam eine Lösung. Du kannst mich haben, aber dann gibt es kein zurück, keinen anderen, nur mich. Das ist was fürs Leben.“
Sie starrte ihn verblüfft an.
„Ähm, ok, das ist schon ziemlich krass.“
„Wähle deine Worte mit Bedacht, sonst mache ich mich auf meinen Weg – allein.“
Sie erbleichte und schien fast zu zittern.
„Ok, aber was, wenn es nicht passt oder einer von uns eine schlimme Krankheit hat.“
„Dann suchen wir eine Lösung, die gibt es immer wenn beide Parteien diese auch wollen.“
„Ok. Dann machen wir das so.“
Sie stand auf und setzte sich neben ihn und legte den Kopf an seine Schulter. Er legte den Arm um sie.
So saßen sie eine Weile. Er brach das Schweigen.
„Morgen packst du einen großen Rucksack und wir gehen auf ein Abenteuer.“
„Ich hab kein großen Rucksack. Ich hab nicht mal einen Koffer. Abgesehen von meiner Arbeit, habe ich die Stadt noch nie verlassen. Mein Vater hat mir nicht mal Klassenfahrten erlaubt. Ich würde gerne die Welt erkunden, aber ich habe Angst vorm Reisen.“
„Dann kaufen wir dir einen und alles was du zum Reisen brauchst.“
„Aber ich kann hier nicht weg, mein Job, ich meine ich habe noch einen Haufen Aufträge.“
„Dann zeigst du mir wie das geht, und wir machen die Sachen noch zusammen fertig und du nimmst einfach keine neuen Aufträge mehr an. Und ich organisier dir die Ausweise und Reisepapiere und natürlich musst du geimpft werden.“
„Aber ich kann nicht, ich trau mich einfach nicht.“
„Nicht doch, ich bin doch bei dir, dann kann dir nichts passieren. Wo wolltest du immer schon mal hin?“
„Mit der Transsibirischen Eisenbahn durch Russland fahren. Und mit Walen schnorcheln. Und Ruinen im Dschungel entdecken. Und die höchsten Berge der Welt besteigen.“
Er schmunzelte.
„Das klingt ja nach einer richtigen Weltreise.“
„Mh, und dann kann ich mir endlich meinen reservierten Ford Bronco abholen.“
„Moment, ich dachte an Zug fahren.“
„Ich will aber auch mal mit einem Geländewagen irgendwo hinfahren. Ich habe gehört Island soll richtig toll sein.“
„Für so einen Reisemuffel kennst du dich aber ziemlich gut aus.“
„Ich les halt viel, gerade Reiseführer und Bildbände und Sachbücher zu Ländern und Orten. Dann mal ich mir aus wie toll so eine Reise wäre und welche Abenteuer auf mich warten. Aber ich hab mich gerademal getraut, nach Berlin zu fahren, sonst nichts. Alles Größere macht mir Angst.“
„Na das müssen wir aber schnellstens ändern.“
Er kramte in der linken Hosentasche und förderte einen kleinen Lederbeutel zu Tage. Er griff hinein.
„Den bekommst du.“
Sie quiekte fast vor Überraschung als sie den goldenen Ring sah.
„Ja ich will.“
„Das hatten wir schon, ich dachte mir damit verjagst du andere Männer.“
Sie probierte den Ring an.
„Passt sogar ganz gut. Wo hast du den her?“
„Den hab ich schon mein ganzes Leben, der gehörte meiner Mutter.“
„Oh, das tut mir leid.“
„Nein schon gut, ich habe keine Erinnerungen mehr an sie.“
Er hielt einen Moment inne.
„Welche Haarfarbe hast du eigentlich.“
„Pink.“
„Nein in echt.“
„Leider blond.“
„Wieso leider?“
„Weiß nicht, ich mag blond nicht so.“
„Hm, was gibt es zum Essen.“
„Steaks. Welche Beilagen sind gewünscht?“
„Kartoffeln und gemischtes Gemüse.“
„Ist gebongt.“
Sie warf ihm einen Blick zu.
„Ich glaube ich gebe dir einen Hausschlüssel. Schläfst du in der Gästewohnung?“
Er dachte nach.
„Couch ist ok.“
„Dann hol ich dir ein Laken und Kissen.“
„Eine Decke habe ich.“
„Ach so, na dann. Hast du Lust?“
„Vor der Hochzeit?“
Sie grinste verlegen.
„Bist du so strickt?“
„Nein, aber nur wenn du dein Bett machst und die Stofftiere wegräumst, du bist nicht mehr zehn.“
„Ne, fast zwanzig Jahre älter. Aber manchmal fühl ich mich wie zehn.“
„Ich glaube jeder fühlt sich mal wie zehn.“
Er tat sich noch ein Stück Kuchen auf und häufte einen kleinen Berg Sahne auf dem Teller auf.
„Brauchst du Hilfe beim Kochen?“
„Nö, dass mach ich allein, sonst wärst du eher im Weg. Ich finde wenn wir es schon so hoffnungslos traditionell machen, bewege ich mich von ganz allein in mein trautes Heim, die Küche.“
„Ich glaube es gibt Leute die es sehr sexistisch finden, wenn andere sagen, Frauen gehören in die Küche.“
„Ich weiß, wie gut, dass mir das egal ist. Sonst zieh ich mir noch ein braves Schürzchen an.“
Er lachte und aß von dem sehr guten Kuchen.
„Gut so. Ich glaube die Welt braucht ab und zu noch seine Traditionen.“
„Stimmt.“
Sie hielt inne und wirkte nachdenklich.
„Warum bist du ausgerechnet heute aufgebrochen? Ich meine wir hätten uns sonst bestimmt verpasst.“
„Ich hatte einen Traum, fast schon eine Art Vision. Sie hat mir gezeigt, dass ich heute etwas erleben würde, dass mein Leben entschieden verändert. Und ich glaube die Vision hatte recht.“
„Hm, interessant. Ich hab heute einfach nur von dir geträumt und wusste, dass ich was unternehmen musste. Glaubst du an Schicksal.“
„Natürlich.“
„Dann war es Schicksal, dass wir uns begegnet sind?“
„Womöglich, wer kann das schon sagen.“
Sie strich sich eine widerspenstige Strähne hinter das Ohr und küsste ihn auf den Mund. Er stellte schnell den Teller weg und erwiderte den Kuss. Auf dem Sofa fielen sie übereinander her.
ENDE